NachRichten

Für das diesjährige Gedenkjahr (1918 / 1938) haben sich Historiker und ein britischer Herausgeber ein spannendes Projekt ausgedacht: Den Nachdruck von Zeitungen und Originaldokumenten aus der Zeit von 1938 bis 1945, Nazi-Blätter, Auslandspresse und Exilzeitungen, samt Hintergrundinformationen von renommierten Zeithistorikern. Insgesamt sollen 52 Ausgaben erscheinen, jede Woche eine, und die erste Nummer ist am 15. Jänner im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt worden. Erwerben kann man die NachRichten in Trafiken oder im Abonnement über die Website.

Im Mittelpunkt der ersten Ausgabe steht der „Anschluss„, also die Ereignisse vom 11. bis zum 15. März 1938, als die deutsche Wehrmacht die österreichischen Grenzen überschritt, die Regierung Schuschnigg zurücktrat, Pogrome gegen Juden stattfanden und die politischen und medialen Institutionen des Landes von Nationalsozialisten übernommen wurden. Ein Reprint der Ausgabe der „Prager Presse“ und des in Wien erschienenen „Das kleine Blatt“ vom 13. März sind dieser ersten Ausgabe der NachRichten ebenso beigelegt wie ein Faksimile des Plakates mit dem Aufruf der Schuschnigg-Regierung für die für den 13. März angekündigte und durch den Einmarsch der deutschen Truppen verhinderte „Volksbefragung„.

Auf der letzten Seite der 1. Ausgabe der NachRichten heben Karl Blecha, Barbara Prammer, Erwin Steinhauer, Ariel Muzicant u. a. die Bedeutung des „Wissens um die Vergangenheit“ hervor, einzig Thaddäus Teddy Podgorsky, der ehemalige ORF Generalintendant, der auch dem ORF-Fernsehwerbespot für das Projekt seine Stimme leiht, verzichtet auf Bedeutungsprosa, indem er die NachRichten wie folgt kommentiert:
Dieses Projekt wird uns eindringlich vor Augen führen, dass die Medien grundsätzlich auf der Seite des „Stärkeren“ stehen. Dazu bedarf es nicht des Terrors einer Diktatur; heute sorgen das internationale Kapital und das Fernsehen für denselben Effekt. Die Drangsalierten haben keine Stimme.

Man fragt sich, was das krude Verschwörungsgefasel vom „internationalen Kapital“ und in dieser Allgemeinheit vorgetragene und somit völlig belanglose Hiebe auf das „Fernsehen“ in diesem Kontext verloren haben? Podgorski müsste wissen, dass sämtliche Zeitungsredaktionen und auch die RAWAG unmittelbar noch in der Nacht vom 11. auf den 12. März von Nationalsozialisten besetzt wurden. Dass in Folge alle Journalisten, die dem nationalsozialistischem Regime aus „rassischen“ oder politischen Gründen nicht in den Kram gepasst haben, verhaftet, gefoltert, umgebracht oder vertrieben wurden. Und falls er es nicht wissen sollte, dann kann er es in der 1. Ausgabe der NachRichten im von Fritz Hausjell verfassten Artikel nachlesen.

Podgorskis‘ Polemik erinnert stark an Noam Chomsky und dessen Thesen, die er etwa in Manipulierter Konsens. Die politische Ökonomie der Massenmedien (1988) erläutert hat. Darin, aber auch in vielen anderen Äußerungen, Interviews und Kommentaren, setzt sich Chomsky insbesondere mit den US-amerikanischen „Elitemedien“, wie etwa der New York Times oder CNN, auseinander. Diese „Elitemedien“, die im Eigentum von Großkonzernen stehen und über Werbung einen Großteil ihrer Einkünfte über (andere) Großkonzerne erhalten, würden unliebsame Nachrichten und Berichte durch gelenkte Kampagnen zu unterdrücken versuchen. Vor allem aber hätten diese Großmedien die Themenführerschaft, das Agenda setting, für alle anderen Medien, was sich insbesondere in Krisenzeiten – Irakkrieg, „Krieg gegen den Terror“ – nachweisen lasse.

Chomskys‘ Thesen über die „Elitemedien“ sind trotz aller Überzeichnung, und unabhängig davon, dass etliche seiner politischen Kommentare, etwa zum Nahost-Konflikt, höchst problematisch sind, vor allem deshalb diskussionswürdig, weil sie vom Wissen getragen sind, dass jedwede öffentliche Kommunikation, also auch jene, die den Macht- und Herrschaftsapparaten etwas entgegensetzen will, nur über mediale Plattformen möglich ist. Und es gibt eben nicht – wie das Podgorski unterstellt – „die Medien“ und „das Fernsehen“, sondern viele mediale Plattformen, deren ökonomische und politische Interessen sich nicht einfach über einen Kamm scheren lassen.

Außerdem, auch das sollte nicht vergessen werden, gilt es höchst heterogene Rezeptionshaltungen bei den „Drangsalierten“ zu bedenken: Man kann das Fernsehgerät nämlich auch als „buddhistische Nirwanamaschine“ (Hans Magnus Enzensberger) verwenden. Mit anderen Worten: Man sollte das Podgorski-Statement lesen – und gleich wieder vergessen.

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