Bildstörung

Zu Sylvester 1986 hat die ARD kurz nach der Tagesschau die Neujahrsansprache des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl ausgestrahlt – allerdings die falsche. Ein Studiotechniker hat nicht das Band mit der zwei Tage zuvor aufgenommenen Aufzeichnung, sondern jenes mit der Rede des Vorjahres über den Äther geschickt. Als Kohl den lieben Mitbürgern ein „friedvolles 1986“ wünschte, brach ein Sturm der Entrüstung los, auch Kohl zeigte sich „empört“ und andere CDU-ler witterten Sabotage sozialdemokratisch gesinnter Fernsehmacher.

Hans Magnus Enzensberger hat diese köstliche Fernsehpanne in einem kurz danach geführten Spiegel-Interview wie folgt kommentiert:

Ich möchte in diesem Zusammenhang ein kleines Denkmal für den unbekannten Techniker errichten, der die Kassette mit der Neujahrsansprache des Herrn Bundeskanzlers vertauscht oder verwechselt hat. Ich glaube nicht an die diversen Verschwörungstheorien. Die wahre Erklärung ist viel interessanter.
Stellen Sie sich einen Metteur bei der Londoner „Times“ im Zeitalter der Queen Victoria vor. Ausgeschlossen, dass dieser Mann eine Rede der Königin vertauscht hätte. Er wäre von der Wichtigkeit der Sache völlig durchdrungen gewesen und hätte den Bleisatz ehrfürchtig gehütet.
Unserm Techniker dagegen flüsterte sein Unbewusstes etwas ganz anderes ein: Was auf dieser blöden Kassette drauf ist, das ist doch gehüpft wie gesprungen. Mit dieser Einsicht steht er nicht allein da. Er hat in diesem Augenblick als Vertreter einer Gesellschaft gehandelt, die genauso denkt wie er.

An diese Geschichte musste ich denken, als ich gelesen habe, dass sich in der offiziellen Pressemappe der US-Delegation für den G8-Gipfel in Japan, die für ausländische Journalisten produziert wurde, eine ungeschminkte Biografie von Silvio Berlusconi befand, in der der italienische Regierungschef unter anderem als „einer der umstrittensten politischen Führer eines für Korruption und Lasterhaftigkeit bekannten Landes“ und als Geschäftsmann „der von vielen als politischer Dilettant betrachtet wurde und der sein wichtiges Amt nur dank seines beträchtlichen Einflusses auf die Medien erlangt hat„, charakterisiert wurde. Die US-Regierung hat sich mittlerweile für den „unglücklichen Fehler“ entschuldigt. Ein Mitarbeiter des Press Office des Weißen Hauses habe die Passagen der Encyclopedia of World Biography entnommen, heißt es.

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