Artikel 19

Im Dezember 1997 hat die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (vormals KSZE), den so genannten Beauftragten für die Freiheit der Medien mit Sitz in Wien eingerichtet. Seither fungiert der Medienbeauftragte (15 Mitarbeiter) als Watchdog der Medienfreiheit, indem er Verstöße der Mitgliedstaaten der OSZE gegen die Intention von Artikel 19 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen („Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.„) publik macht und die Bösewichte beim Namen nennt.

Heute hatte ich die Gelegenheit, einer Konferenz beizuwohnen, die anlässlich des zehn jährigen Bestehens des Medienbeauftragten in der Wiener Hofburg stattfand. Der gegenwärtige Medienbeauftragte, der ungarische Journalist, Schriftsteller und Jurist Miklós Haraszti skizzierte in seinem Statement die elementaren Bedrohungen, denen Journalisten und Medienvertreter ausgesetzt sind: Neben der direkten, physischen und lebensbedrohenden Gewalt gegen Journalisten nehmen in vielen Staaten des ehemaligen Ostblocks Formen der Kriminalisierung von Medienleuten zu, also gesteuerte Kampagnen gegen Journalisten mit dem Ziel, deren Glaubwürdigkeit zu untergraben.

Zu diesen eindeutig gegen die Medienfreiheit gerichteten staatlichen Aktivitäten gilt es aber auch die unter dem Logo des Anti-Terror-Kampfes lancierten Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen (Datenspeicherung, Bundestrojaner etc.) zu bedenken – mit allen negativen Implikationen auf das Journalisten zustehende Recht auf die Vertraulichkeit der journalistischen Quellen. Haraszti führte aber auch etliche von den Medien selbst zu verantwortende Faktoren an, die den Geist von Artikel 19 tendenziell untergraben. Er sprach die (Selbst-)Kommerzialisierung der Medien an, womit er nicht nur die Zunahme von würdelosen Formaten in den elektronischen Medien meinte, sondern vor allem den wachsenden Trend, Beiträge zu bestellen und zu bezahlen. Journalisten würden derartige Produkte dem Leser/Seher nicht als Werbung kenntlich machen, sondern als seriöse Information verkaufen.

Konstanty Gebert, Auslandskorrespondent der größten, überregionalen polnischen Tageszeitung, der links-liberalen Gazeta Wyborcza, hat diesen Bezahljournalismus am Beispiel Russland illustriert. Für Gebert (1953 in Warschau geboren, 1968 im Zuge der antisemitischen Säuberungen in Polen aus dem Gymnasium geworfen, Solidarnosc-Aktivist der ersten Stunde, Chefredakteur der jüdischen Monatsschrift MIDRASZ) ist mit der Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja auch die Presse- und Meinungsfreiheit in Russland liquidiert worden. Politkowskaja sei die letzte Journalistin von Rang gewesen in einem ansonsten völlig korrupten Mediensystem. In Russland sei es Usus, so Gebert, dass Journalisten gegen Bezahlung Beiträge verfassen, in denen sie politische Gegner oder wirtschaftliche Konkurrenten anschwärzen. Diese Praxis, die allgemein bekannt sei, habe das Grundvertrauen von Journalist und Leser zerstört:

Wenn Journalisten schreiben, weil sie sich der ‚Wahrheit verpflichtet haben’, und von staatlichen oder ökonomischen Machthabern in ihrer Arbeit behindert werden, dann gehen die Leser auf die Straße, weil sie sich in ihrem Informationsrecht eingeschränkt sehen. Wenn Journalisten aber im Auftrag und im Interesse derer schreiben, die sie bezahlen, dann wird niemand auf die Straße gehen, wenn diese Journalisten in ihrer Arbeit behindert werden, weil der Leser bereits vorher jedwedes Interesse an dieser Art von Journalismus verloren hat.

Deshalb rege sich im Russland des Wladimir Putin auch so wenig Widerstand, wenn der Staatsapparat gegen wahrheitssuchende Journalisten vorgehe. Gebert betonte, dass es diese Form von Korruption in der ganzen Welt gebe. Der Unterschied bestehe seiner Meinung aber darin, dass korrupte Journalisten in demokratischen Staaten zur Verantwortung gezogen werden würden, während sie in Russland das Mediensystem konstituieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert