Die Wohlgesinnten

Die mediale Aufmerksamkeit, mit der Die Wohlgesinnten, so der deutsche Titel des Romans von Jonathan Littel, der vor zwei Jahren im französischen Original erschienenen ist und sowohl beim Publikum (rund 800.000 verkaufte Exemplare) als auch bei der Kritik (prämiert u. a. mit dem Prix Goncourt, dem wichtigsten französischen Literaturpreis, den der Autor aber dankend ablehnte) großen Anklang fand, im deutschsprachigem Raum bedacht wird, dürfte im Buch- und Verlagssektor wohl einzigartig sein. Die FAZ hat eigens einen Reading-Room eingerichtet, also eine Internet-Plattform, auf der Auszüge aus dem Werk ebenso zu finden sind wie Kommentare von Historikern, Schriftstellern und Literaturkritikern sowie zahlreiche Rezensionen, die in deutschsprachigen Tages- und Wochenzeitungen erschienen sind. Dass auch der Berlin-Verlag, in dem das Buch verlegt wurde, eine eigene Website eingerichtet hat mit Interviews, Links zu Quellenmaterialien, historischen Backgroundinfos, literaturphilosophischen Einordnungsversuchen sowie einer vom Autor selbst zusammengestellten Literaturliste, überrascht somit ebenso wenig, wie der beinahe schon obligatorisch gewordene WIKIPEDIA-Eintrag.

Warum diese Aufmerksamkeit, dieses Feuilletongetöse – noch dazu ein über weite Strecken ablehnendes (große Ausnahmen: Klaus Theweleit mit einer brillanten Gegenrede und Wolfgang Schneider im Deutschlandfunk) – über einen literarischen Text, dessen Themen, das Naziregime, WK II und die Vernichtung des europäischen Judentums, nahezu täglich in Dokumentationen, Diskussionen und Filmen im deutschen Rundfunk, vorwiegend in den Dritten Programmen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Hörfunks, behandelt werden, dennoch nachvollziehbar ist, hängt wohl mit dem ungewöhnlichem Verfahren zusammen, dass Jonathan Littell, ein in Amerika geborener Jude, der mittlerweile französischer Staatsbürger ist, gewählt hat. Auf Basis von Aufzeichnungen, Berichten und Reden der Nazis und in umfassender Kenntnis der zeitgeschichtlichen Forschungsliteratur konstruiert er seinen Ich-Erzähler, den SS-Obersturmbannführer Dr. iur. Maximilian Aue. Diesen Kunstnazi lässt er über die Barbarei sprechen – reuelos.

(„Diesen Leuten Reue zu geben hieße, ihnen etwas zu geben, was sie nicht hatten.“ Jonathan Littell)

Aue, nach WK II in Frankreich untergetaucht, schreibt 40 Jahre später seine Erinnerungen. Mit der Aue’schen Perspektive (= das ist die Perspektive des jüdischen Schriftstellers, der sich in einen SS-Mörder versetzt), mit diesem Kameraauge, zoomen wir auf das Grauen. Was wir zu sehen bekommen, ist mit einer oftmals unerträglichen Genauigkeit und Drastik gezeichnet (etwa die Massaker der SS-Einsatzgruppen in der Schlucht von Babyn Yar im Jahre 1941). Dass viele Literaturkritiker sich gerade an dieser Drastik stoßen, dem Autor Pornografie vorwerfen, ist äußerst merkwürdig:

Solche Beschreibungen haben ihre Berechtigung, weil es nun einmal der Körper ist, der im Krieg leidet: unter völligem Mangel an Hygiene, verschlissener Kleidung, Hunger und Krankheit, extremen Wetterverhältnissen, Hitze oder schneidender Kälte. Und natürlich vor allem unter den vielfältigen Waffen, die nur einen Zweck haben: menschliche Körper möglichst nachhaltig zu zerfetzen.“ (Wolfgang Schneider).

Diese Berichte der Barbarei, oftmals in Form von Alpträumen und Wahnvorstellungen wiederkehrend erzählt, sind eingewoben in einen grotesken Family-Thriller – in Anlehnung an die Orestie des Aischylos (Aue liebt seine Schwester inzestuös, hasst und mordet seine Mutter, und wird deshalb auch von zwei Kriminalpolizisten gejagt).

Auch ein weiterer Vorwurf, wonach Littell ein Nazi-Intellektuellen-Milieu schildere, das es so nicht gegeben hätte, geht ins Leere bzw. zeigt lediglich, dass viele Rezensenten jüngste Forschungsergebnisse noch nicht zur Kenntnis genommen haben. So hat etwa der am Hamburger Institut für Sozialforschung tätige Historiker Michael Wildt in seiner Studie über das Personal des Reichssicherheitshauptamtes, also jener Behörde, die den Judenmord maßgeblich organisierte, und der Littells Aue angehört, gezeigt, dass mehr als drei Viertel des Führungskorps Matura, zwei Drittel überwiegend Jus studiert und nahezu ein Drittel einen Doktortitel hatten. Wildt schreibt dazu in seiner Einleitung:

Diese Täter lassen sich nicht in ein gängiges Verbrecherbild einordnen. Sie waren keineswegs sadistische oder gar psychopathische Massenmörder, sondern offenkundig weltanschaulich überzeugt von dem, was sie taten. Sie stammten nicht vom Rand als vielmehr aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft, hatten eine akademische Ausbildung hinter sich, etliche führten sogar einen Doktortitel.

Dieser Aspekt, der seit den Nürnberger Einsatzgruppenprozessen bekannt ist, wurde im Verlauf der 50-er und 60-er Jahre allerdings ausgeblendet.

Stimmiger schienen andere Täterbilder zu sein: NS-Täter als sozial Deklassierte, als Bürokraten und Schreibtischtäter, als ideologiefreie Technokraten oder rationale Sozialingenieure, als ‚ordinary men’ oder ‚ganz normale’ Täter.

Das wohl am meisten verstörende an Littells Buch hat Wolfgang Schneider wie folgt formuliert:

Geschickt operiert Littell auf einer Grenzlinie. Max Aue gehört einerseits zur SS-Elite, ist uns andererseits aber nahe genug für die Lektüre-Identifikation. Er ist umgeben von SS-Leuten, die bornierte Unsympathen oder Fanatiker sind. Oft kommt es zu Streitigkeiten – und in diesem Zusammenhang schlagen wir uns beim Lesen unweigerlich auf Aues Seite.

Ohne es zu merken, werden wir zum Mörder!

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